Wir können alles. Außer Mittelhochdeutsch.
Und sagen, was Mittelhochdeutsch eigentlich ist, ebenso wenig. Das dachten sich am Donnerstag, den 21.Oktober, wohl viele der Neunt-bis Zwölftklässler, die wie so oft eher unter Verpflichtung als unter Eigenmotivation den Weg in die Aula gefunden hatten. Genauso wie es wahrscheinlich die Siebt-und Achtklässler taten, die den Worten eines Lehrers, der es nur gut mit ihrer Allgemeinbildung meinten ("Das könnte sehr interessant für dich sein!") Glauben geschenkt hatten. Doch dieses elephantöse Fragezeichen, das über so ziemlich jedem Kopf in der doch erstaunlich gut besetzten Aula zu schweben schien, wurde schon bald von einem mittelalten, gar nicht so mittelalterlichen, ziemlich normal aussehenden Mann mit Brille ersetzt, der sich uns als "Jörg Müller" vorstellte. Und da Jörg Müller es, wie sich herausstellte, durch seinen Beruf als Lehrer an einem Gymnasium in Siegen gewohnt war und ist, seinen mehr oder weniger begriffsstutzigen Schülern Wissen über Biologie und Deutsch einzutrichtern und er es bei uns ja noch mit eher begabten Exemplaren zu tun hatte, war es für ihn auch kein Problem, aus dem "Wir können alles. Außer Mittelhochdeutsch definieren." ein "Wir können alles. Auch Hochdeutsch definieren." zu machen. Denn schon das Wort "Mittelhochdeutsch" an sich erzählt, wie manche nervigen Gesprächspartner, schon von selbst seine Lebensgeschichte, ohne dass man es fragen müsste. "Mittel" kommt also von der Zeit, in dem Mittelhochdeutsch verbreitet war, logischerweise dem Mittelalter, wo man es heute vor allem noch vom Minnesang her kennt. "Hoch" meint die Gebiete, in denen es gesprochen wurde, also in eher höher gelegenen Gegenden wie zum Beispiel den Mittelgebirgen Thüringens. Und "Deutsch", na ja, meint die Sprache, aus dem der Dialekt erwuchs, an deren Brust er gestillt wurde, an deren Hand er aufwuchs, an deren Seite er lebte und starb. Wer nach dieser kleinen, jedoch für das allgemeine Schülerverständnis sehr erleuchtenden Exkursion in die Welt der Definitionen allerdings dachte, nun einigermaßen Anschluss an das Thema gefunden und das Fragezeichen über seinem Kopf beseitigt zu haben, der unterschätzte die Einschätzungen der Vortragenden von einer hochbegabten Schülerschaft. Nicht, dass wir jetzt nicht wüssten, welche Sprache sich den Minnesang zu Eigen gemacht hat und einigermaßen einen mittelhochdeutschen Liedtext verstehen könnten, wenn er uns in einer Deutscharbeit vor die Nase geklatscht würde. Aber auch nach dem Vortragsteil, den ein fast identischer Jörg Müller namens Stefan Müller abhielt, der von seiner Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Bonn noch weniger begriffsstutzige Hochbegabte gewohnt war, ging uns nicht wirklich das Herz auf für diese Sprache, was wohl hauptsächlich an der wenigen romantischen Theorie und Analysierung lag. Niemand sagte, er wolle seine Doktorarbeit im Studium der Sprachwissenschaften über dieses Thema schreiben und es gab keinen Lehrer, der anschließend einen Austausch auf Mittelhochdeutsch zu initiieren bereit war. Und so blieb die Devise nach einer Stunde Vortragsabend: "Wir können alles. Außer Mittelhochdeutsch."
Gesprächsrunde nach dem Vortrag